Selbstbehauptungstraining

Eines unserer regionalen Projekte: Selbstbehauptungstraining für hörgeschädigte Mädchen 

Wir wollen auf die schwierige Situation hörgeschädigter weiblicher Teenager in unserer Region aufmerksam machen und ihnen die selbstverständliche Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen. Dafür werden im speziellen Training das selbstbewusste Auftreten und die Fähigkeit, den eigenen Willen zum Ausdruck zu bringen, gestärkt. Hierbei spielt die Inklusion eine besondere Rolle, denn Kontakte und Begegnungen finden zwischen hörgeschädigten Mädchen und Mädchen ohne Handicap statt.


Mit vollem Körpereinsatz beim Selbstbehauptungstraining.

Ich bin kein Opfer! Inklusives Selbstbehauptungstraining für hörgeschädigte Mädchen

Wenn man an der Turnhalle der Johannes-Vatter-Schule in Friedberg vorbei kommt, hört man gelegentlich energische Ausrufe: „Lass das!“ oder noch kraftvoller „Feuer!“ rufen jugendliche Mädchenstimmen. Beim Näherkommen sieht man schemenhaft eine Gruppe von Teenagern, die ihre Bewegungen mit lautstarken Rufen begleiten. Seit 2016 treffen sich Mädchen an der Schule mit dem Förderschwerpunkt Hören zum Selbstbehauptungstraining der besonderen Art. Auf Initiative des Serviceclubs „Soroptimist International Bad Nauheim“ hin entstand das inklusive Angebot für Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren.

Die Mädchen bewegen sich in lockerer Kleidung im Raum, üben eine aufrechte Körperhaltung und einen selbstbewussten Gang. Einige von ihnen berichten, dass sie bereits in unangenehme Situationen geraten sind. Da war der junge Mann in der S-Bahn, der anzüglich grinste oder der aufdringliche Körperkontakt und beiläufiges Berühren im voll besetzten Bus. Es kommt vor, dass die Mädchen aufgrund ihrer Hörschädigung Situationen falsch einschätzen oder schlicht nicht verstehen. Manche Teenager können einfach nicht angemessen reagieren und machen sich dadurch leicht zu potenziellen Opfern. Durch das Training wird ihr Handlungsrepertoire enorm erweitert. Die Trainerin provoziert mit bewussten Rempeleien – Mädchen, die bislang ausgewichen sind und sich ängstlich zurückgezogen haben, lernen, sich zu wehren. Oft kommen Schlagpolster zum Einsatz, auf die die Mädchen mit aller Kraft einprügeln und sich endlich trauen, offensiv zu handeln. Dann hört man wieder die kraftvollen Schreie. In Rollenspielen werden solche Szenen, die im Alltag von Jugendlichen brenzlig werden können, aufgegriffen: Wie reagiere ich richtig, wenn ich aus einem Fahrzeug heraus angesprochen werde? Wie helfe ich anderen, ohne selbst in Gefahr zu geraten? Und nicht zuletzt: Wie setze ich einen Notruf ab?

Es ist beeindruckend, wie intensiv sich die Mädchen in die Situationen hinein vertiefen und neue Verhaltensmuster einüben. Auch praktische Selbstverteidigung steht auf dem Plan. Trainerin Elke Tischer vom örtlichen Karateverein hat zahlreiche Techniken zur Verteidigung und Griffbefreiung im Programm.

Während im Anfangsjahr Mädchen der benachbarten Gesamtschule von dem attraktiven Angebot profitierten und im inklusiven Kontext – ob mit oder ohne Handicap – gemeinsam trainierten, wurde ab 2018 eine weitere Adressatengruppe in den Blick genommen: Die Förderschule „Johannes- Vatter“ ist ein großes überregionales Förderzentrum in Hessen und betreut Kinder und Jugendliche in der Inklusion. Für viele hörgeschädigte Mädchen ist der Übergang von der eher behütenden Grundschule in die komplexe weiterführenden Schule eine besondere Herausforderung. So wurde ab Mai 2018 ein besonderes Trainingskonzept für Viertklässlerinnen entwickelt, um diesen großen Schritt zu erleichtern. Bei diesen 10 bis 12-Jährigen geht es auch um den gezielten Einsatz von Körpersprache und eigener Stimme und ein gezieltes Anti-Stresstraining. Die Mädchen lernen, ihre persönliche Distanz zu definieren und erproben Strategien zur Deeskalation Als besonderer Clou wird nach erfolgreicher Absolvierung eines kompakten Wochenendtrainings und eines zusätzlichen Samstagstermins der erste Karategürtel (gelb-weiß) verliehen. Manche der Mädchen entdecken so Karate als neuen Sport.

Der Leiter des Förderzentrums Bernhard Hohl, die Trainerin Elke Tischer und die Projekt-Koordinatorin vom SI Club Bad Nauheim Friederike Arning ziehen nach drei Jahren eine positive Bilanz. Bereits im Mai 2019 wird das Training fortgesetzt, diese Mal mit einer selbst hörgeschädigten jungen Assistentin, die den Mädchen als Role-Model dienen kann, trotz Handicap ein erfolgreiches und selbstbewusstes Leben zu führen.

Besonders motiviert uns, dass „Selbstbehauptung für hörgeschädigte Teenager“ zum SID- Projekt des Monats Februar 2019 ausgewählt wurde – dafür den Jurorinnen herzlichen Dank!